St. Galler Tagblatt, 14. Oktober 2005

Schiffbruch, Schnulzen und Yvonne

Gebrochene Herzen und ihre Folgen, zuckersüsse Schnulzen und eine Prise Gangster-Groove: der Rest ist vorprogrammiert. Ein Unterhaltungsabend mit dem St.Galler Duo Jerome & Guillaume.

Monika Slamaing

Der Beginn ist irritierend. Da stehen zwei auf der Bühne, ganz in Weiss, geknickt, unrasiert, vom Leben gezeichnet. Der eine in Bademantel, Matrosenleibchen und Badeschlappen, der andere steckt verkehrt herum in einem Jackett mit Goldknöpfen, das ihn wie eine Zwangsjacke einengt. Entlaufene Psychiatriepatienten? Matrosen? Häftlinge? Wohl alles zusammen.
Das neue Programm «Von vorne» der St. Galler Entertainer Häna Ruppanner (Gesang) als sülzender Chansonier Jerome und Willi Häne (Piano) als cooler Guillaume, enthüllt im Lauf des Abends eine undurchschaubare Geschichte: Das Erfolgs-Duo hat auf der Flucht vor rasenden Fans, gebrochenen Herzen und ihren Anwälten mit der geklauten weissen Yacht von Nathalie vor der Küste von Cannes Schiffbruch erlitten. «Wir sind noch nie so scharf am Abgrund vorbeigeschrammt», klagt Jerome.
Den Koffer voller neuer Chansons konnten sie retten, und die tragen sie jetzt vor. Nach den Programmen der vergangenen Jahre «On Ice» und «Magic Moments», in denen sie bekannten Evergreens ihre frech und frei übersetzten Liebesschnulzen überstülpten, kommt unter der Regie von Marcus Schaefer eine Prise Gangster-Groove hinzu.
Feurig, witzig, trivial
Was in der Kellerbühne in Handschellen beginnt, kreist sich bald wieder um das, was die «Hochstapler der Liebe» am besten können: Die Liebe besingen, vor allem in jenen Variationen, in denen es an die Wäsche geht. Nur schleicht sich zwischen «Flieg mit mir über alle Skrupel hinweg» und «Ich bin nun mal als hübscher Kerl geboren», zwischen den Reizen von Nathalie, Jeannette und Yvonne, verhalten die Ernüchterung über die Folgen kopfloser Liebschaften ein – und ein Reissen, das keine Liebelei befriedigen kann: «Hebt den Anker, setzt das grosse Segel – wir halten uns an keine Regel.» Jerome ist der überzeugende Chansonnier mit «Latin Lover»-Charme, schwingt zu Salsa-, Samba- und jazzigen Rhythmen oder Balladen die Hüften, fleht, haucht oder sülzt mit sicherer Stimme ins Mikrofon. Sogar Guillaume, der scheinbar kühle Mann am Klavier, lässt sich auf Flirts mit dem Publikum ein. Ein paar Mal verfallen sie in Stereotypien – in der Nummer mit dem Brusthaarteppich unter dem aufgerissenen Hemd, dem Whisky und den Zweideutigkeiten. Mal mit Ironie und Witz – dem Minirock und Smoking gilt die Leidenschaft ebenso wie den Frauen –, mal trivial-frivol schiessen sie ab und zu haarscharf an der Schlüpfrigkeitsgrenze vorbei. Im Gesamten bieten Jerome & Guillaume jedoch solide, technisch ausgefeilte Unterhaltung.
Entrückt nach San Marino
Wer will sich schon über Textinhalte den Kopf zerbrechen. Was zählt, sind die zwei pfiffigen Entertainer in Weiss auf der schwarzen Bühne, die heraufbeschworene Hitze von Ute, Inge, Vanessa, Gioja oder May; eingängige Lieder und das Gefühl, einen Moment lang, man sei in einem Nachtclub in San Marino, Paris oder Berlin. Das Publikum ist von Anfang an voll dabei, lacht, summt, schnippt mit den Fingern zu Melodien, die bekannt tönen, auch wenn sie es nicht sind. Denn «Von vorne» ist zumindest im realen Leben von Jerome & Guillaume ein Neuanfang mit Eigenkompositionen.
«Wir beginnen von vorne»
Am Schluss – und der fängt überraschend früh an – mit zwei angeblichen Zugaben, die ein Medley der Songs des Abends sind, löst sich auch das Rätsel um den Programmtitel auf: «Sie waren das beste Publikum, das wir je hatten und verdienen mehr als eine Zugabe. Wir beginnen von vorne.» Die beiden Unverbesserlichen entkommen ihren Aufpassern hinter der Kulisse, die ihnen in der Pause «dank Veronika» die Handschellen abnahmen. Nicht aber ohne die Verenas, Marie-Luisen, Susannes im Publikum – oder war es Rose? – mit Luftküssen und eindeutigen Einladungen hinter die Bühne zu locken.

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