St. Galler Tagblatt, 15. September 2004

"Schau mich nicht so an!"

Suzana Cubranovic

Anmutig marschiert sie mit ihren langen Beinen am Publikum vorbei. Etwa zwei Meter vor der Bühne bleibt die achtbeinige Spinnendame stehen und scheint den zwei Herren oben zuzusehen. Die Melodie von Aretha Franklins Soulklassiker «Say a little Prayer» ertönt. Die Spinne lauscht. «Für immer und immer schenke ich dir mein Leben», singt der Mann mit Glatze und pinkfarbenem Glitzerjacket. Dabei hebt er den rechten Arm in die Höhe, macht ein Hohlkreuz, zieht die Stirne in Falten und die linke Augenbraue hoch. Es ist Samstagabend bei «KiE» in der Alten Engelburger Turnhalle.
Zwei wie Glitzer & Glimmer
Guillaume trägt einen schwarzen Anzug, dazu ein weisses Hemd, das weit aufgeknöpft einen Blick auf seine haarige Spielwiese freigibt. Sein Tastenspiel ist fehlerfrei, sein Gesichtsausdruck fröhlich verzückt. Ab und zu greift er zur Whiskykaraffe, die sich unter dem Lautsprecher befindet, um sein ausgetrunkenes Glas wieder aufzufüllen. Oder ist es nur Ice-Tea, wie bei Bill Murrays Werbespots in «Lost in Translation»? Guillaume ist der unscheinbare Mann im Hintergrund. Sein Kollege Jerome ist der Frontmann, der Redner, der Sänger, der Charmeur, der wirklich schräge Vogel. Jeromes Glitzerjacket ist mindestens zwei Nummern zu gross. Er trägt Glatze und eine schwarze Hose und ein weisses Satinhemd mit Siebzigerjahre-Kragen. Einzig die Schuhe zeugen von gutem Geschmack.
«Werde mein!»
Jerome erzählt Geschichten aus dem Leben als Star in Las Vegas. Er singt von Nathalie und Lola. Doch das Publikum zeigt die kühle Schulter, klatscht schüchtern, lacht nur ab und zu zaghaft. Plötzlich bricht der Pianoman aus, haut gewaltig in die Tasten, um einen Cha-Cha-Cha zu spielen. Jerome lässt neckisch sein Jacket fallen, seine Finger wandern zum Hemdknopf. Er unterlässt das Aufknöpfen - erleichtertes Aufatmen - und macht sich stattdessen an eine Dame im Publikum ran. Der Bühnenmacho singt sie an: «Schau her zu mir, da siehst du einen Mann. Lass dich darauf ein und werde mein!» Grinsende Gesichter. Und als Guillaume eine Trompete nachsingt, muss das Publikum endlich laut lachen.
Der Flirt mit dem Flirt
Als kurz vor der Pause «Pour un flirt avec toi» erklingt, springt noch einmal der Funke ins Publikum. «Du läschelst mir zu und isch denk nur noch an disch», singt er mit seiner wohlklingenden tiefen Stimme. Plötzlich wird geklatscht, und in der alten Turnhalle ertönt der Refrain als kollektives «Lala-lala-lala-lalala-lala». Nach der Pause geht es weiter mit bekannten Chansons. Das Publikum hat sich wieder abgekühlt. Kurz vor Schluss aber versprüht Jerome nochmals seinen ganzen Charme, lehnt sich mit dem Rücken gegen das Standmikrofon, geht in die Knie und singt zwinkernd «La vie en rose». Wieder geht er ins Publikum, singt eine junge Rothaarige an: «Schau mich nicht so an!» Er geht weiter zur Frau, die ihm zuvor einen Korb erteilt hat: «Ich versuchs noch einmal.» Doch statt ihr, wendet er sich ihrem männlichen Begleiter zu und setzt sich frech auf dessen Schoss. Dieser hält still. Als Jerome ihm tief in die Augen blickt und kurz Atem holt, bevor er weitersingt, stiehlt ihm der Herr die Show, indem er singt: «Schau mich nicht so an!» Nun sind die Zuschauer begeistert, lautes Lachen und tobender Applaus sind die Folge.
Rosen zum Abschied
Nun bringen die zwei St. Galler Herzensbrecher Hildegard Knefs Rosensong. «Tausendmal möchte ich dich küssen», schnulzt Jerome und verteilt duftende Blüten an eine, zwei, drei Damen. Der restliche üppig rote Strauss geht mit einem sehnsüchtigen Blick an den Mann, auf dessen Schoss Jerome zuvor gesessen hat. «Meine Damen und Herren, Jerome und Guillaume haben das Gebäude bereits verlassen», sagt eine Tonbandstimme ins Publikum, das applaudierend um eine dritte Zugabe bittet.  Suzana Cubranovic


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